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In der Umsatzsteuerstatistik der 16 Jahre von 2003 bis 2018 lässt sich viel über die Entwicklung des stationären Fachhandels ablesen. Sinkende Händlerzahlen, steigende Umsätze und ein entsprechend starker Konzentrationsprozess sind die offensichtlichsten Punkte.
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Markt - 16 Jahre Umsatzsteuerstatistik

Groß wird größer

Vom Jahrhundertsommer bis zur Corona-Krise: Der Wandel in der Fahrradbranche lässt sich anhand der Umsatzsteuerstatistik der letzten anderthalb Jahrzehnte anschaulich nachvollziehen. In vergleichsweise kurzer Zeit hat sich der Fahrradhandel massiv verändert.

Das Jahr 2003 mit seiner viele Monate währenden Schönwetterlage bleibt als Jahrhundertsommer auch in der Fahrradbranche in dauerhafter Erinnerung. Nicht zuletzt die Umsatzsteuerstatistik zeigt, wie gut dieser Sommer für die Fahrradwelt gelaufen ist. Die Ergebnisse aus diesem Jahr wurden für längere Zeit nicht mehr erreicht. Erst im Jahr 2008 konnten die Umsätze des stationären Fachhandels von damals 2,24 Mrd. Euro übertroffen werden. Danach gab es kein einziges Jahr mehr, in dem die Gesamtumsätze zurückgegangen wären. Diese Entwicklung hält nun schon ein ganzes Jahrzehnt an.
Umgekehrt proportional zu den Umsätzen hat sich die Zahl der Händler entwickelt. Ihre Zahl ist bemerkenswert linear in den letzten 16 Jahren gesunken. Nur im Jahr 2009 ist die Händlerzahl einmal nennenswert gestiegen, ansonsten gab es bestenfalls Stagnation und sonst sinkende Händ­lerzahlen. Allerdings betrifft dieses Händlersterben vor allem kleinere Ladenschäfte. Als Faustregel lässt sich feststellen, dass je kleiner ein Händler ist, desto kritischer seine Perspektiven scheinen. Die Zahl der kleinsten umsatzsteuerpflichtigen Händler mit Umsätzen von 17.500 bis 50.000 Euro ist um 358 Betriebe gesunken. Die verbliebenen machen im Schnitt ein Drittel geringere Umsätze als 16 Jahre zuvor, die Inflation in dieser Zeit ist dabei genauso wenig berücksichtigt wie das allgemeine Wachstum der Branche. Ihr Marktanteil ist damit weiter gesunken von ohnehin bescheidenen 1,5 % in 2003 auf nur noch 0,49 % in 2018.
Auf den ersten Blick noch härter erwischt hat es die Händler mit Umsätzen von 100–250.000 Euro. Ihre Zahl ist um 549 Betriebe gesunken und würde schon fast alleine den Händlerschwund der letzten anderthalb Jahrzehnte erklären können. Allerdings sind diese Händler nicht wirklich allesamt gefährdet gewesen. In der Realität der vergangenen Jahre sind sie dank E-Bike und Co. einfach sehr oft in höhere Umsatzkategorien aufgestiegen und auf diese Weise aus dieser Zeile der Statistik verschwunden.

Die magische halbe Million

Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die Halbe-Million-Grenze. Wer diese Umsatzgrenze überschreitet, dreht zumindest im Schnitt die geltenden Spielregeln um: Die Zahl der Händler nimmt stetig zu, die Umsätze ebenso. Je höher die Umsatzdimensionen, desto größer ihr Anteil am Marktwachstum.
Die größten Händler mit Jahresumsätzen jenseits der 10 Mio. Euro haben in den letzten 16 Jahren ihr Umsatzvolumen mehr als versechsfacht. Fanden sich im Jahrhundertsommer 2003 noch 11 Betriebe in den höchsten Umsatzkategorien, sind es im Jahr 2018 bereits 45. In der Umsatzsteuerstatistik ist noch weiter aufgeschlüsselt nach Unternehmen mit über 25 Mio., über 50 und über 100 Mio. Euro Umsatz, die hier zusammengefasst sind, auch weil die genaue Zahl der Händler in manchen Jahren zur Wahrung des Steuergeheimnisses gesperrt ist. 2016 gab es erstmals mindestens einen Betrieb, der die 100 Mio. Euro Umsatz übertroffen hat. Da darf man vermutlich nachträglich noch Gratulationen an Zweirad Stadler senden.
Der Blick auf die »neu« entstandenen Branchenriesen sollte nicht fehlgedeutet werden: Es handelt sich weitestgehend um die gleichen Unternehmen, die vorher auch schon zu den Handelsgrößen gehört haben, nur dass sie inzwischen den Gürtel weiter schnallen können, dürfen, müssen. Sie sind in dem abgebildeten Zeitraum überproportional gewachsen, sei es durch die fortschreitende Filialisierung, wachsende Verkaufsflächen oder das generelle (E-Bike-)Marktwachstum. Nicht jeder der Händler, der heute Millionen umsetzt, hat einmal klein angefangen. Gerade in den letzten Jahren ist mancher Neueinsteiger mit großen Flächen dazugekommen, was als ein weiterer Hinweis auf die Professionalisierung der Branche zu deuten ist.
Auf der anderen Seite sollte nicht unter den Tisch fallen, dass es auch kleinere Händler gibt, deren Geschäftsmodell funktioniert. Reine Werkstattbetriebe etwa dürften sich schwertun, Umsatzmillionäre zu werden, können aber trotzdem langfristig rentabel betrieben werden. Gleiches dürfte für die vielen spezialisierten Nahversorger gelten.
Wie wird die Entwicklung in den nächsten Jahren weitergezeichnet werden? Die Zahl der Betriebe scheint jedenfalls langsamer zu sinken als in den Jahren zuvor. Das darf man als gutes Zeichen sehen oder auch nur als Momentaufnahme. Der Markttreiber E-Mobilität bleibt ein kapitalintensives Geschäft und damit ein Spielfeld für die finanzkräftigeren oder risikofreudigeren Händler. Sollte der Markt für E-Bikes einmal annähernd gesättigt sein, kann sich die Lage schnell wieder verschärfen, auch für die Großen. Unbeantwortet bleibt in dieser Statistik auch, wie es der Konkurrenz ergangen ist: Wie haben sich Canyon, Radon, Rose, Fahrrad.de und alle anderen Multichannel- und Internethändler, Aldi, ADAC, Baumärkte, Decathlon und der Sporthandel sowie Verleihsysteme im Vergleich entwickelt? Sie alle tauchen nicht in dieser Statistik auf, auch wenn die Abgrenzung mitunter zu verschwimmen beginnt. Sie alle begehren die Marktanteile des stationären Fachhandels. Dieser kann aus einer Position der Stärke weiter an der Attraktivität seines Angebots, seinem Service und der Beratungsqualität im Ladengeschäft arbeiten. Nur sich entspannt zurücklehnen, das kann er leider nicht.

6. Juli 2020 von Daniel Hrkac
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