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Report - Gravel

Schotterwege zum Erfolg

Mit dem Gravelbike ist zwischen Rennrad, MTB und Trekkingbike eine neue Art Universalrad entstanden, das riesige Resonanz auslöst. Gravel boomt. Doch gilt das noch länger oder hat sich das bald wieder? Bei den Herstellern zeigt sich ein Bild zwischen Euphorie und Pragmatik.

Schuld ist die Scheibenbremse: Seit am Rennrad keine engen Felgenkneifer, sondern an der Nabe montierte Bremsscheiben das Tempo zügeln, fiel auch der Zwang zu schmalen Pneus. Zuvor undenkbar breite Reifenformate ließen eine der erfolgreichsten Radgattungen der letzten Jahre entstehen. Mit Reifenbreiten zwischen 40 und 50 Millimetern eröffnen die geländetauglichen Sport-Bikes vielfältigste Einsatzbereiche. Angepasste Rahmen, Gabeln und Geometrien, aber auch Schaltkomponenten ließen die aus den USA herübergeschwappten Schotterrenner auch bei uns zu einer universellen und inspirierenden Radgattung werden. Die anfängliche Skepsis vieler Marktbeobachter wandelt sich mehr und mehr in Begeisterung. Zahlreiche Hersteller haben ein umfangreiches Portfolio an Gravelbikes aufgebaut. Selbst angestammte MTB-Marken wie GT, YT Industries, Mondraker oder Marin setzen mit Nachdruck auf Gravel, und sogar eher sportferne Marken wie Hercules und Gudereit haben mindestens ein Offroad-Bike mit gebogenem Lenker im Programm.

Wie geht das jetzt weiter?

Wenn man die verschiedenen Bike- und auch Schaltungshersteller nach ihrer aktuellen Einschätzung zum Thema Gravel befragt, ergibt sich ein differenziertes Bild, das eine ziemliche Spannbreite des Marktes offenlegt. Nach den jüngsten Erfolgen des Segments stellt sich zunächst die Frage, ob der Höhepunkt vielleicht schon überschritten ist. Was erwartet die Branche? »Der Zenit ist ganz klar noch nicht überschritten. Der Absatz steigt, wir erwarten weitere Zuwächse, wenn auch mit etwas flacherer Kurve als bisher«, sagt Christian Brumen, Brand Manager Dropbar von Rose Bikes. Volker Dohrmann, Leiter Strategie, Produkt und Marketing bei Stevens, bewertet die Lage nur geringfügig anders: »Wir denken, dass der Zenit momentan erreicht ist und es mit leichten, zweistelligen Steigerungsraten pro Jahr weitergeht.« Michael Wild, Marketing-Leiter bei Paul Lange spricht für Shimano: »Gravel ist alles andere als eine kurzfristige Modeerscheinung. Es hat sich definitiv als Kategorie etabliert.« Chris Frenssen, Marketing Manager bei Giant Deutschland, sieht »im Gravel-Bereich noch großes Potenzial und auch Wachstum.« Eine ausgesprochen positive Grundstimmung und der feste Glaube an die stabil positive Weiterentwicklung des Gravel-Markts eint damit alle.


Obwohl Gravelbikes zu den sehr sportlichen Segmenten gehören, finden sich die Räder sehr häufig im Alltagseinsatz als Commuter.

Roman Högerle, PR-Verantwortlicher von Merida & Centurion Deutschland stellt fest: »Es entdecken noch immer viele Menschen diese Art Rad gerade erst ganz neu und sind von der Vielseitigkeit des Gravelbikes begeistert. Das zeigt auch die Marktentwicklung: Es gibt immer mehr Sub-Kategorien wie Racegravel, Bikepacking und Commuting.« Die Euphorie der ersten Jahre ist dennoch etwas gedämpft. Nach der unruhigen Zeit seit Anfang 2020 spürt man derzeit ein Aufatmen. Und Pragmatismus. Lieferketten funktionieren wieder, die Lager sind voll, Kostensteigerungen gebremst, Preise normalisieren sich. Die Fahrradkäuferinnen und -käufer hegen hohe Erwartungen. Zu Recht. »Endlich normalisiert sich die Lage, die Marktentwicklungen werden wieder besser absehbar«, fasst Christian Brumen zusammen.

Gravel diversifiziert sich

Einig sind sich alle, dass es das Gravelbike nicht gibt. Es gibt parallel nebeneinander viele unterschiedliche Einsatzbereiche. Die Ansprüche wettbewerbsorientierter Racer, ambitionierter Tourenfahrer und -fahrerinnen, von Bikepacking-Fans, Adventurebikern und Alltagspendlerinnen und -pendlern stehen gleichwertig nebeneinander. »Das Gravelbike hat sich insgesamt als eine Universallösung für alle Einsatzzwecke etabliert«, sagt Michael Wild. Ähnlich sieht das auch Frank Greifzu, Productmanager von Cube. »Vom täglichen Commuting bis zum Bikepacking-Overnighter ist alles dabei. Die Entwicklung fächert sich weiter breit auf. Jedoch mit zwei Kernsegmenten: einmal die Gravel-Racer, gerne auch mit dem Thema Integration und aerodynamischen Features. Und zweitens der komfort- und adventure-orientierte Bereich«, prophezeit Greifzu. Pure Sport-Bikes, alltagstaugliche E-Modelle, Adventure- und sogar straßenorientierte Reise- und Pendlerräder sind gleichberechtigt. »Alle diese fünf Anwendungsbereiche sind essenziell fürs Gravelbike und bilden den Mainstream«, meint Volker Dohrmann. Chris Frenssen beobachtet erfreut: »Die Spielwiese ›Gravel‹ stellt sich immer breiter auf und reicht vom Commuter-Einsatz über Bikepacking, Lifestyle bis hin zu neuen Gravel Races.«

Das volle Programm

Unterschiedliche Preislagen der Radmodelle grenzen sich durch Aluminium oder Carbon als Rahmenmaterial und die Hierarchie der Schaltgruppen voneinander ab. Wichtig sind die Einsteigermodelle ab etwa 1000 Euro. Dabei hat Shimano mit der modular aufgebauten und untereinander kompatiblen GRX-Familie einen starken Stand. »Die GRX bietet die Möglichkeit, praktisch nahtlos jedes denkbare Preis- und Qualitätsniveau abzubilden. Davon wird in der Tat häufig Gebrauch gemacht, sodass die Grenzen zwischen Einsteiger-, Mittel- und Oberklasse fließend sind«, sagt Shimano-Spezialist Wild. Auch SRAM ist mit 1x-Schaltgruppen im günstigeren Preisbereich und drahtlosen eTap-Gruppen im High End gut vertreten. Campagnolo hat mit der gut abgestimmten Ekar, der ersten 1x13-Gruppe, solide Fuß gefasst.


Gravel-Schaltungen setzen auf ein oder zwei Kettenblätter. Da gibt es kein Dogma.

Innovative Technik wie die Zweigangnabe von Classified beweist, wie smart und wartungsarm sich Umwerfer und Doppelkettenblatt im Gravelbike ersetzen lassen. Marken wie Ridley, Storck und Rose setzen auf diese Technik. »In Hochpreislagen über 4000 Euro wird durchaus gern gekauft«, sagt Rose-Mann Brumen. »Hier zeigt man sich auch gern mit teurem Material und genießt das Image, das sich damit verbindet.« Doch populärer sind klar die günstigeren Alu-Modelle. Auch, weil Gravel als Trendthema viele Neueinsteiger und -einsteigerinnen anspricht. »Bei Internet-Suchmaschinen ist ›Gravelbike‹ derzeit einer der meistgesuchten Begriffe«, beobachtet Brumen.

Wildern in fremden Revieren

Frech knabbert das Gravelbike an Marktanteilen anderer Fahrradsegmente: Viele Freizeitrennradler greifen inzwischen lieber zum Gravelbike, weil sie dessen unkomplizierte Vielseitigkeit bevorzugen. »Hier wandern die Kunden ab, die keine Rennrad-Enthusiasten sind«, beobachtet Klaus Rutzmoser von Scott-Sports. Auch Endurance-Renner sind durch ihre »weichere Grenze zum Gravelbike« oft betroffen, weiß Volker Dohrman, »29er-Hardtails dagegen durch ihre dickeren Reifen und Federungssysteme eher nicht.« Giant dagegen sieht leichte Verluste gerade bei den MTB-Hardtails.

»Das Gravelbike hat sich zu einer eigenständigen Gattung entwickelt. Das ist in seiner unglaublichen Vielseitigkeit begründet.«

Roman Högerle,
MCG

Cube grenzt deshalb die Preislagen dieser beiden Varianten deutlicher voneinander ab, um direkte Konkurrenz zu vermeiden. »Für viele ist das Gravelbike definitiv das beste Bike«, sagt Marcel Schwarz von Specialized. »Zum Pendeln ohne Bindung an asphaltierte Straßen, auf Offroad-Touren mit leichten Trail-Einlagen, für Bikepacking-Touren. Durch diese Flexibilität grenzt es sich klar vom Rennrad, Mountainbike oder Trekkingbike ab.« Doch trotz aller Partikularisierung: Insgesamt, so sind sich alle einig, werden die Volumina größer.

Bikepacking hat sich innerhalb kürzester Zeit und nicht zuletzt dank Gravel zu einer neuen Trendsportart entwickelt.

Einsteiger mit Potenzial

Gravelbikes bringen als attraktives, oft auch günstiges Must-have viele Novizen zum sportlichen Radfahren. Nicht selten folgt später der Kauf eines Straßenrenners, Mountainbikes oder Reiserads. »Ein Gravelbike ist oft das erste Rad für Neueinsteiger, also Personen ohne starke Materialaffinität und Fahrrad-Background. Wenn das Radfeuer dann entfacht ist, mag bei dieser Zielgruppe zum Beispiel der Wunsch nach vollgefederten Geländerädern, oft mit Motor, aufkommen«, stellt Volker Dohrmann fest. Besonders freut sich die Branche darüber, dass das Gravelbike vorwiegend ein jüngeres Publikum anspricht.

»Wir sehen die GRX Di2 als Aushängeschild. Man sieht, wie verlässlich diese Technik selbst im härtesten Gravel-Einsatz arbeitet.«

Michael Wild,
Paul Lange

Chris Frenssen sieht gerade bei den Gravelern eine »breite Käuferschaft, quer durch alle Schichten. Auch erfreulich viele Frauen entscheiden sich für das Gravelbike und kommen so möglicherweise irgendwann zum Rennrad- oder MTB Sport.« Aus Verkaufs- und Beratungsgesprächen weiß Rose-Mann Christian Brumen, dass fast die Hälfte seiner Gravel-Kunden Neueinsteiger sind. Und wie früher bei MTBs oder Crossrädern holen viele Gravelbike-Erstkäufer später die Aufrüstung mit Gepäcktaschen, Steckschutzblechen, Gepäckträger oder Parkstütze nach. Der Gravel-Lifestyle ist noch neu und cool. Neben dem Bike-Verkauf generiert das zusätzliche Potenziale bei Bekleidung und Zubehör.

Innovationstreiber

Der frische Wind des Gravelbooms schiebt auch die technische Entwicklung an. Die bemerkenswerte Rahmenfederung am Specialized Diverge STR ist ein gutes Beispiel. Angepasste Federgabeln sind bei Modellen von YT Industries, Canyon, Cannondale und Mondraker im Einsatz. Im High-End-Bereich dominieren elektrische Schaltgruppen wie SRAMs drahtlose eTap und Shimanos Di2, aber auch die superleichte Ekar 1 x 13 von Campagnolo besetzt Marktanteile. Windschnittige Aero-Konstruktionen spielen in der Race-Szene eine Rolle. Eine Motorisierung auf breiter Front steht erst noch bevor. Zu diesem Punkt gehen die Erwartungen besonders weit auseinander. »Das E-Gravelbike steckt noch in den Kinderschuhen. Aber auch da wird es sicher mit großen Schritten vorangehen«, schätzt Chris Frenssen. Dabei hat man vor allem aktuelle Low-Assist-Nabenmotoren im Blick. Frank Greifzu: »Mit neuen Motorsystemen können wir sehr attraktive Gewichte im Komplettrad erzielen. Anders als beim Rennrad bewegt man sich im Gravel deutlich öfter in einem Geschwindigkeitsbereich, wo der Support vom Motor spürbar ist.« Volker Dohrmann bleibt hanseatisch nüchtern: »Auch wir arbeiten an einer neuen Serie, in der Gewicht und Sportlichkeit essenziell sind.« Doch er schätzt das Verhältnis zwischen E- und Bio-Gravelbike nur auf etwa eins zu zehn. Bei Specialized gewichtet man die Vorteile leichter E-Systeme höher und sieht darin »noch besonders viel Wachstumspotenzial«, wie Marcel Schwarz formuliert.
Bereits jetzt spielen ab Werk alltagstauglich ausgestattete Gravel-Modelle für fast alle Hersteller eine wichtige Rolle. Cube verkauft fast ein Drittel aller Gravelbikes als FE-Modelle, also fully equipped. Rose bietet das Backroad in so gut wie allen denkbaren Varianten an. Sogar ein Modell mit geradem Lenker ist darunter. Bei Bergamont macht das alltagstaugliche Grandurance RD die Hälfte aller Modellvarianten aus. Die Verschränkung zwischen Sport-, Alltags- und Tourennutzung ist beim Gravelbike besonders eng. Das neue sportliche Universalrad hat sich also eine solide Existenzberechtigung verschafft. Das Gravelbike ist gekommen, um zu bleiben. //

14. April 2023 von Jochen Donner

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