
Markt - Zölle
Was Zoll das?
Besonders interessant ist natürlich, welche konkreten Auswirkungen sich für die Fahrradindustrie ergeben, eine Branche, in der internationale Lieferketten und Zollregeln oft über Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.
- Der EU-US-Deal
Die offizielle Pressemitteilung des Weißen Hauses ist rhetorisch kaum zu überbieten. Von einem »kolossalen Deal« ist die Rede, und die EU werde »signifikante« Zölle abbauen. Die Wortwahl suggeriert eine geopolitische Zäsur, fast wie ein symbolischer Kniefall. Wer jedoch den vollständigen Text liest, stellt fest: Auf Seiten der EU sind es vor allem Ankündigungen, die bislang ohne konkrete Maßnahmen bleiben.
Beispielhaft sind zu nennen die medienwirksamen 600 Milliarden Euro an Investitionen in die USA und 750 Milliarden Euro an Energiekäufen. Diese Summen sollen in erster Linie von privaten Unternehmen aufgebracht werden. Die EU-Kommission selbst hat hier keinerlei direkte Handhabe, sondern kann allenfalls den politischen Rahmen setzen. Damit hat die EU Zusagen gemacht, die sie nur mittelbar beeinflussen kann. Hinzu kommt: Niemand weiß genau, wie diese Beträge berechnet wurden und ob sie jemals in dieser Größenordnung realisiert werden.
Und die Zölle?
Auf US-Seite gilt ab sofort ein Höchstsatz von 15 Prozent Zusatzzoll für Importe aus der EU. Dieser Mechanismus unterscheidet sich von der Praxis bei anderen Handelspartnern, wo ein fester Prozentsatz auf bestehende Zölle addiert wird. Die EU ist der erste Partner, dem es gelungen ist, eine solche Höchstsatzregelung zu verhandeln. Ein Detail, das in den Schlagzeilen leicht untergeht, aber strategisch relevant ist.
Beispiele für Auswirkungen des Höchstzolls:
- Mountainbikes: Anstieg von 11 Prozent auf 15 Prozent Importzoll
- Rennräder: Anstieg von 5,5 Prozent auf 15 Prozent
- Produkte, die bereits über 15 Prozent Zoll hatten, bleiben unverändert
Laut dem US Branchenverband People for Bikes lag der durchschnittliche Zoll auf EU-Waren bisher bei 4,8 Prozent. Der reale Aufschlag beträgt damit im Schnitt 10,2 Prozent. Dieser Teil des Abkommens ist bereits durch die Executive Order 14326 vom 31. Juli 2025 in Kraft getreten und hat damit unmittelbare Wirkung für Exporteure.
Aufseiten der EU finden sich da-gegen nur vage Formulierungen. Geplant sei der Abbau von Zöllen in einzelnen Sektoren oder die Einführung von Einfuhrquoten. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um sogenannte Zero for Zero Agreements, bei denen beide Seiten in einem Sektor die Zölle vollständig abschaffen. Außerdem wollen EU und USA nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen, also Vorschriften und Standards harmonisieren oder gegenseitig anerkennen, zum Beispiel in den Bereichen Qualität, Recycling oder Umweltauflagen. Doch auch dies ist bisher nur eine Absichtserklärung.
Die einzige sofortige Maßnahme der EU besteht darin, geplante Vergeltungszölle auf US-Importe auszusetzen.
Zwischenfazit:
Zusatzzölle kassiert, im Gegenzug nur unverbindliche Zusagen gegeben. Klingt erst mal nach einer akzepta-blen Lösung. Doch die Unsicherheit bleibt, denn Trump könnte jederzeit argumentieren, dass die »schwammigen« EU-Versprechen nicht erfüllt wurden, und die Zollschraube wieder anziehen.
2. Der EU Deal im internationalen Vergleich
Auf den ersten Blick wirkt das Abkommen zwischen EU und USA unspektakulär. Auch andere Länder mussten 15 Prozent Zusatzzoll hinnehmen, darunter Japan und Südkorea. Die besten Konditionen liegen bei 10 Prozent Zusatzzoll, wie sie beispielsweise Großbritannien oder Australien erhalten haben.
Für die klassischen Produktionsstandorte der Fahrradindustrie fällt die Bilanz jedoch deutlich schlechter aus:
- China: 20 Prozent (sog. Fentanyl-Zölle) plus 25 Prozent »Section 301« Strafzölle im Fahrradbereich. Der eigentliche 34-Prozent-Zusatzzoll ist aufgrund laufender Verhandlungen bis Mitte November ausgesetzt.
- Kambodscha: 19 Prozent
- Vietnam: 20 Prozent
- Taiwan: 20 Prozent
- Thailand: 19 Prozent
- Malaysia: 19 Prozent
Durch die EU-Höchstsatzregelung kann jedoch ein klarer Vorteil entstehen:
Bei Rennrädern mit 5,5 Prozent Standardzoll ergeben sich folgende Sätze:
Ursprung: Zollsatz:
EU: 15,0 Prozent
UK: 15,5 Prozent
Taiwan: 25,5 Prozent
China: 50,5 Prozent
Bei Mountainbikes mit 11 Prozent Standardzoll:
Ursprung: Zollsatz:
EU: 15 Prozent
UK: 21 Prozent
Taiwan: 31 Prozent
China: 56 Prozent
Je teurer dabei das Produkt, desto stärker wirkt sich der Zoll aus. Gerade im hochwertigen Segment spielen diese Unterschiede daher eine große Rolle.
Ergänzend ist noch anzumerken, dass bei E-Bikes der Effekt nicht so ausgeprägt ist. Dies liegt darin begründet, dass E-Bikes 0 Prozent Standardzoll haben.
Zollsätze bei E-Bikes:
Ursprung: Zollsatz:
EU: 15 Prozent
UK: 10 Prozent
Taiwan: 20 Prozent
China: 45 Prozent
Noch etwas mehr Komplexität gefällig? Auf die Stahlteile in E-Bikes wurden ganz aktuell 50 Prozent Zusatzzölle eingeführt. Dies gilt aber explizit nur auf die Stahlteile.
Wichtig: Für den US-Zoll gilt das Ursprungsland des Rahmens als Ursprungsland des Fahrrads. Anbauteile sind dagegen grundsätzlich irrelevant für den Ursprung. Für ein
»EU-Fahrrad« muss die Rahmenproduktion also tatsächlich in der EU stattfinden. Das ist lang gelebte Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis in den USA. Graubereiche existieren, bergen aber auch erhebliche Risiken.
3. Make America Great Again – wirklich?
Naheliegend wäre jetzt die Idee, die Rahmenproduktion in die USA zu verlagern, um die Zölle zu umgehen. In der Praxis scheitert das jedoch an zwei wesentlichen Hürden.
Erstens: die Anbauteile
Hochwertige Komponenten wie Schaltungen, Bremsen oder Laufräder stammen fast ausschließlich aus Asien. Selbst wenn der Rahmen in den USA produziert wird, würden die Zollkosten für ein Komplettfahrrad oft höher ausfallen als beim Import eines fertigen EU-Fahrrads, zum Beispiel wegen mindestens 20 Prozent Zoll auf Teile aus Taiwan, möglicherweise zuzüglich regulärer Zölle. Solange man also nicht weite Teile der Lieferkette gleichzeitig in die USA verlegt, ergibt die Rahmenproduktion in den USA keinen Vorteil.
Wichtig: Für den US-Zoll gilt das Ursprungsland des Rahmens als Ursprungsland des Fahrrads. Anbauteile sind dagegen grundsätzlich irrelevant für den Ursprung.
Zweitens: das Rahmenmaterial
Die meisten Aluminium-Vormaterialien kommen aus Asien und unterliegen in den USA 50 Prozent Schutzzoll. Für Stahl gelten ähnliche Belastungen. Lediglich bei Carbon sind die Vormaterialien weniger stark betroffen.
Ironischerweise verhindern gerade diese hohen Zölle auf Grundmaterialien, dass sich die verarbeitende Industrie in den USA neu ansiedeln kann. Selbst wenn Unternehmen bereit wären, Fertigungskapazitäten aufzubauen, bräuchten sie stabile Rahmenbedingungen. Die unberechenbare Zollpolitik erschwert jedoch langfristige Investitionen, zumal sich im Vierjahresrhythmus die handelspolitische Ausrichtung grundlegend ändern kann. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass sich zumindest die Zölle auf Anbauteile durch eine Fahrradmontage in einer Freihandelszone lösen lassen. So macht das teilweise auch die Automobilwirtschaft. Allerdings ist auch dies mit erhöhten Kosten und bürokratischen Hürden verbunden.
- Vorteil EU
Unter den derzeitigen Bedingungen gewinnen Fahrräder aus der EU oft einen klaren Kostenvorteil, insbesondere im oberen Marktsegment. Die Kombination aus moderaten Zöllen und hoher Fertigungsqualität könnte den Export in die USA deutlich attraktiver machen.
Für die Industrie bietet sich hier eine strategische Chance. Wer bereits in der EU produziert oder die Möglichkeit hat, Produktionsschritte wie die Rahmenfertigung dorthin zu verlagern, kann den Zollvorteil unmittelbar nutzen. Allerdings bleibt das Risiko politischer Änderungen bestehen. Ein Kurswechsel in Washington könnte Vorteile innerhalb kurzer Zeit zunichtemachen.
- Fazit
Die Fahrradindustrie zeigt exemplarisch, wie US-Zusatzzölle wirken: In stark importabhängigen Sektoren verhindern US-Zusatzzölle »America First« und verteuern Produkte (solange keine vollständige US-Lieferkette existiert). Der Aufbau einer solchen erfordert jedoch hohe Investitionen und Planungssicherheit, die aktuell fehlt. Damit wirken die Zölle eher wie eine verdeckte Verbrauchssteuer.
Aus Sicht der US-Regierung und Donald Trump sind die Zölle dreifach attraktiv: Sie bringen direkte Einnahmen, dienen als Druckmittel in Verhandlungen und Trump steht als harter Verhandler da. Eine bundesweite US-Mehrwertsteuer wäre politisch kaum durchsetzbar, doch Zusatzzölle erfüllen eine ähnliche Funktion, ohne diesen Namen und das Stigma zu tragen.
Für den Rest der Welt verschieben sich damit die Kostenstrukturen in den US-Lieferketten. Für uns in Europa bleibt: Der derzeitige, neue Status quo bietet strategische Chancen, mit denen hiesige Marken auch auf dem US-Markt wettbewerbsfähig sein können. //
Stand aller Daten: 20.08.2025
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