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Markt - Rennräder

Alles mit Rennlenker

Räder mit Rennbügel haben Konjunktur in ihrer Nische. Statt der Straßenrennräder ist es vor allem der Gravel-Sektor, der seit 2019 für Zuwachs sorgt. Oder täuscht die Wahrnehmung?

Ist der Rennradsektor insgesamt in Bewegung, oder ist es nur das Gravelbike, das sich entwickelt und Innovationen auf die Räder bringt?
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Einschätzung der Hersteller über die Marktdynamik im Rennradbereich unterschiedlich ist. Das Rennrad ist für manches Unternehmen auch eine Art Prestige-Objekt, auf das man nicht verzichten will, auch wenn die Nische eine Nische bleibt, das Rad für bestimmte Rennen. Immer häufiger geht es um die Differenzierung zwischen »Rennen« und »Gravel«.

Ein reines Sportgerät

»Im Bereich Rennrad haben wir unser Angebot verschlankt«, sagt der CEO der österreichischen Marke Simplon, Stefan Vollbach. Die klassische Rennmaschine fehlt derzeit. Drei Grundmodelle bietet das Portfolio: Das Aero-optimierte Rad Pride II, aktuell »schnellstes Rennrad der Welt« laut einem Fachmagazin, den Marathonrenner Kiaro Disc und das Gravelbike Inissio. »Wir sind in den Gravel-Bereich spät eingestiegen«, so Vollbach. »Aber es gibt immer mehr Menschen, die sich mehr an Crossover orientieren.


High-End-Aero-Renner finden eine treue, zahlungskräftige und leider auch eher kleine Zielgruppe.

Dazu kommt auch eine Flucht vor der Aggression im Straßenverkehr.« Egal welche Schiene, Simplon ist tendenziell immer an Performance orientiert. Das bedeutet, zusammen mit dem standardmäßigen Baukastensystem, etwas höhere Einstiegspreise als bei vielen Herstellern. Alle Renner werden in Hard in Österreich entwickelt. »Das Rennrad geht bei uns nicht zurück«, so Vollbach. »Unser Aero leidet derzeit sogar sehr darunter, dass wir gar nicht so viele produzieren können, wie wir verkaufen könnten. Richtig ist, dass der stationäre Handel sich zurückgezogen hat.« Das E-Bike habe deren ganze Aufmerksamkeit und den Platz im Laden.
Bei Simplon wächst auch der E-Rennradbereich. »Aber bei uns bleibt das E-Rennrad ein reines Sportgerät.«
Das heute so erfolgreiche Gravel-Rad kannibalisiert das reine Rennrad kaum, »und es gibt ja auch die, die beides wollen«, so Vollbach. Eine andere Form von Elektrifizierung zeigt Cannondale. Gerade stellte der Hersteller mit dem Synapse Carbon 2R einen Straßenrenner vor, der neben hochwertiger serienmäßiger Beleuchtung auch einen Abstandradar aufweist. Er zeigt am Lenkerdisplay an, wie viele Autos sich wie schnell von hinten nähern.

»Probleme miteinander lösen«

Früh auf den Schotter gerollt ist man bei Storck. Schon lange gab es Cross-Modelle, der Nachfolger Grix2 ist heute als Gravel-Rad im Portfolio. »Wir haben im letzten Jahr 117 Prozent Plus gemacht, nur im sportlichen Bereich«, so Markus Storck, CEO des Unternehmens. Auch Storck sagt: »Die Händler haben sich in den letzten Jahren auf das E-Bike verlegt, das haben wir als sportliche Marke deutlich zu spüren bekommen.« Auch ein Grund, warum sich das Unternehmen 2018 neu erfand und vom stationären auf den Online-Handel verlegte. Aktuell stellt man drei neue Modelle im Aero- und Allround-Bereich und ein neues Gravel-Modell vor. »Der Bereich wächst super, aber Aero liegt gleichauf.« So gibt es gerade neue Modelle mit der Bezeichnung Aerfast, die mit etwa 4400 Euro Einstiegspreis in die gehobene Mittelklasse starten.

Das eigentliche Wachstumssegment im Rennlenker-Segment sind die
schicken und vielseitigen Gravel-Bikes.

Ein leichtes E-Rennrad mit Fazua-Motor findet man auch hier. Die Professionalisierung in der Branche werde jetzt deutlich zunehmen müssen, meinte der Geschäftsführer mit einem Blick auf den Automobilbereich. »Wir planen jetzt Modelle fast drei Jahre im Voraus, mit 2024 sind wir schon durch.« Eine Hemmschwelle sieht er in der Preispolitik der Zulieferer, gestiegene Preise kurzfristig an die Radhersteller weiterzugeben. »Partner brauchen Sicherheit, das wird so nicht gehen, sonst wird der Konsum bald ausgebremst! Wir haben eine tolle Branche und können solche Probleme doch miteinander lösen«, wünscht sich Storck.

Der Renner als kleiner Bruder des Gravelers

Wo der Asphalt aufhört und Schotter anfängt, lässt sich leicht feststellen. Welches Rad worauf spezialisiert ist, ist aber immer schwieriger zu erkennen. Beim polnischen Hersteller Rondo beispielsweise wird die Range immer breiter. Das Ruut war vor fünf Jahren eines der ersten europäischen Gravelbikes und laut eigenem Bekunden das erste mit verstellbarer Geometrie. Bei ihm kann die Vorderradaufnahme verschoben und damit der Radstand verändert werden. Mittlerweile gibt es vom Ruut Modelle mit Stahl-, Alu-, Carbon-, und Titanrahmen, erklärt Thorben Kriener, Marketingleiter von Sports Nut, dem deutschen Vertrieb von Rondo. »Die Strategie beruht darauf, dass wir mit dem Root ein sehr sportliches Gravelbike haben, was immer noch Menschen abschreckt, die Offroad eine ruhigere Fahrweise suchen – oder gar keinen klassischen Graveler wollen«, so Kriener. »Für uns ist das Rennrad die Nische, das GravelRad die Kategorie«, meint Kriener. Breit angelegt ist auch die Preisrange: Von 1700 bis etwa 8000 geht’s allein beim Root. Die Top-Modelle sind immer mit elektrischer Schaltung. »Das Ganze wird größer, als wir noch vor vier Jahren gedacht haben. Die Preise gehen wieder nach unten, sobald die Lieferketten wieder funktionieren«, erwartet Kriener.

Unsichtbare Dynamik im Portfolio

102 Ergebnisse bekommt, wer auf der Homepage von Trekbikes auf »alle Rennräder« klickt. Wer genauer hinsieht, entdeckt die drei Gruppen Domane, Emonda und Madone, die sich die Palette teilen. Endurance, Performance-Bike und Aerorenner sind hier die Kategorien.

Nach Ansicht vieler Marktteilnehmer sind Gravel-Räder oft ein zusätzliches Rad zum bestehenden Fuhrpark und kannibalisieren nicht das Rennradsegment.

Dazu kommt mit dem Checkpoint eine Gravelbike-
Familie. »Alle Carbonrahmen bei Trek-Rennrädern kommen mit dem Iso-Speed«, sagt Veit Hammer, Content- und PR-Manager bei Trekbikes. Diese einstellbare Dämpfung am Oberrohr soll das Rad komfortabler machen. Das Domane kann 38 Millimeter breite Reifen aufnehmen. Mit dem Endurance schielt man also auch in Richtung Allroad. »Ein zweiter Laufradsatz, und du kannst alles fahren.« Auch bei Trek wird das Gravel- das Roadbike nicht kannibalisieren, glaubt Hammer. »Wer gern Pässe oder klassische Rennen fährt, wird sich das nicht abschminken.« Eher sehe diese Kundschaft das Stollenrad als Add-on mit vielen neuen Möglichkeiten. Dazu kommen Amateur-Rennfahrer und -fahrerinnen, die nicht mehr auf viel befahrenen Straßen trainieren wollten. Gravel-Rennen könnten auch viel einfacher realisiert werden, da Sperrungen für Straßenrennen immer schwieriger würden. Hammer sieht im Gravel gar einen einfacheren Zugang zur Szene, der dem Nachwuchs oft fehle. Die Materialfrage bringt der PR-Manager auf eine einfache Formel: »Sport ist Carbon, Kult ist Stahl.« Und da es bei Trek um Sport geht, ist das Carbonrad, beziehungsweise im Einsteigerbereich Alu, hier auch in Zukunft Standard. An den Gravelern sind viele Befestigungspunkte vorhanden. Das unternehmenseigene Zubehör-Label Bontrager wartet mit Taschen für jede Befestigungsart fürs Bikepacking-Abenteuer auf. Die Lieferfähigkeit, so Hammer, ist derzeit durchaus vorhanden. »Wer zum Händler geht, muss allerdings flexibel sein.« Allgemein ist auch in der Nische Rennrad auffällig: Die Indus­trie scheut manchmal Innovation außerhalb der eingetretenen Pfade. Das zeigt die Tatsache, dass beispielsweise eine Zweigang-Nabe im Hinterrad, die zumindest für Offroader äußerst interessant wäre und eine gute Alternative zu den grob abgestuften Schaltgruppen mit Einfachkettenblatt darstellt, in fast keinem Portfolio der großen Unternehmen vorkommt. Eine Ursache mag hier sein, dass man mit den E-Schaltungen von Shimano oder Sram nicht kompatibel wäre. Letztlich ist dies ein Punkt, den zumindest Graveler oft verschmerzen können.

High-End-Performance auch für Einsteiger

»Wir sind breit aufgestellt, können vom Einsteiger bis zur Weltklasse alle abholen. Auch der Gravel-Bereich ist abgedeckt«, sagt Lisa Wolf, PR-Managerin für Nordeuropa bei der Sportrad-Marke BMC. Im Gravel-Segment wird ein BMC-eigenes Dämpfungssystem am Hinterbau verbaut. Ein Teil der Räder hat auch eine kurzhubige Gravel-Federgabel. Preislich wird bei BMC im Bereich von 2000 bis etwa 10.000 Euro gegravelt. Das Gravelbike, so weit die Wahrnehmung bei BMC, ist eher ein Add-on. BMC verliere keine Rennrad-Kunden an dieses Bike, meint Wolf.

Innerhalb des Rennrad-Bereichs gibt es heute eine sehr feine Ausdifferenzierung mit Aero, Endurance, Leichtgewicht und Gravel, wie es etwa bei Scott der Fall ist.

Im Straßenbereich gibt es mit den Roadmachine-Modellen Allrounder, die auch beim gelegentlichen Einsatz jenseits von Asphalt und mit Reifenbreiten bis zu 33 Millimetern Spaß machen sollen. Auch eine Zeitmaschine und ein Bahnrenner sind im Programm. »Unsere Kunden wollen ein High-Performance-Rad mit bester Ausstattung, aber wir versuchen auch immer, günstige Einsteigermodelle anzubieten.« So hat die Roadmachine einen Einstiegspreis von 2.300 Euro.
Die Diversifizierung im Bereich Dropbar ist in vollem Gange »und noch lange nicht zu Ende«, meint Wolf. Das Einsatzgebiet reiche vom Pendler bis hin zu Menschen, die einfache Trails lieber mit dem Gravelbike als mit dem MTB fahren. »Auch wird es immer mehr Gravel-Rennen geben und dafür leichte, aber robuste Räder. Der Trend schwappt gerade von den USA zu uns.« Technisch sind die Federelemente stark im Kommen, dasselbe gilt für Funkschaltungen. »Da ist noch Luft nach oben.« Bei BMC ist Tuning auch eine Frage der Ergonomie. Die Frage, die man sich stellt, lautet: »Wie kann man den Fahrer noch besser unterstützen?« Die Antwort sind spezielle Lenkerkonstruktionen und D-Shape-Sattelstützen, die dem Fahrer und der Fahrerin Komfort zurückgeben. Der Innovationswille und das Know-how dazu sind in Grenchen vorhanden, genauso wie das Wissen, dass die Kundschaft bereit ist, dafür auch etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Nutzende entscheiden über das Angebot

»Wir teilen unser Angebot nach dem Nutzerverhalten auf: Derzeit heißt das Leichtgewicht, Aero, Endurance und Gravel,« sagt Taddeus Morse, Road Bike Marekting Manager bei Scott Sports in der Schweiz. »Aber auch innerhalb dieser Gruppen gibt es, unabhängig vom Preisbereich, noch Unterschiede.« Der Kunde und die Kundin sollen das genau auf sie ausgerichtete Rad bekommen. Grundsätzlich sieht man in allen Bereichen Wachstum, das Gravelbike dürfte also kaum Kundschaft vom Straßenrad abziehen. »Wir finden es aber aufregend zu sehen, wie viele Nuancen das Rad zulassen kann.« Auch beim Gravelbike: Da gibt es in der komplett überarbeiteten Modellplattform eher Speed-orientierte, aggressive Räder für Rennen, während andere Fahrer und Fahrerinnen entspannte Geometrie und Sitzposition für ihr Abenteuer suchen.

»Wir müssen jetzt für 2025 bestellen – Blindflug!«

Volker Dohrmann, Stevens
Viele Anbaumöglichkeiten und robuste, leicht zu reparierende Komponenten seien von Vorteil. Innovation heißt hier andererseits weitgehend integrierte Kabel und Züge durch neue Komponenten wie den Syncros-Creston-Lenker oder einfach und stabil zu befestigende Schutzbleche.
Was das Rahmenmaterial angeht, sieht man bei Scott in nächster Zeit keine Bewegung hin zu Stahl, auch wenn dieser für die »epischen« Abenteuer besonders beliebt scheint. Wie bei den Rennrädern bietet man auch Frauenräder mit kürzeren und weniger aggressiven Geometrien an. Die Alu-Räder Speedster beginnen mit einfacher Ausstattung bereits bei 1200 Euro, in der Carbon-Reihe Addict steigt der Preis bis 9000 Euro. Sie wurde für 2022 upgedatet, erhielt etwas mehr Reifenbreite, eine sportlichere Geometrie und teils auch mehr Integration. Die Endurance-Abteilung ist ähnlich aufgebaut, durch fast alle Segmente ziehen sich die Modellgruppen Speedster und Addict.

Geht der Endverbaucher die Preise mit?

»Die Rennlenker-Fraktion nimmt zu, vor allem im städtischen Bereich sehen wir viel Zulauf in Sachen Gravel«, sagt Volker Dohrmann, Leiter Strategie, Produkt und Marketing bei Stevens. Mit den Offroadern ist man schon seit 2003 unterwegs. »Cross sind wir Weltmarktführer. Bei Gravel haben wir uns dann Zeit gelassen.« Mittlerweile verkauft man zweimal so viel Gravel- wie Crossbikes. »Die Leute legen Wert darauf, mit den Rennrädern mehr machen zu können. Und natürlich ist es auch ein Modehype.« Das neue Camino war nach fünf Tagen ausverkauft. Der Gravel-Einstieg gelingt bei Stevens mit etwa 1200 Euro. Einen Teil der Rädernamen kennt man aus dem ehemaligen Cross-Sektor. Dort gibt es noch die Klassiker Vapor (Alu) und Super Prestige (Carbon) in diversen Ausstattungen. Ein anderer »Hype«, der Stahlrahmen, landet nicht bei Stevens. »Da werden bezüglich Materialeigenschaften Nuancen hochgespielt. Das muss nicht sein«, so Dohrmann. Auch das E-Rennrad ist für Dohrmann ein Randthema. Das Gravelbike immerhin hat Stevens mit Fazua-Motor zum E-Getaway elektrisiert. Die Verkaufszahlen dafür sind laut Dohrmann gut.
In Hamburg sieht man aber auch die Schattierungen im Markt: »Im Asphalt-Bereich passiert derzeit allgemein nicht so viel.« Mit dem neuen Aero-Bike Arcalis hat man im Windkanal Eindruck gemacht. Die Marke Stevens steht für Preis/Leistungs-Fähigkeit auch im Dropbar-Bereich. »Unsere Stückzahlen sind sehr gut. Wir profitieren derzeit davon, dass andere nicht liefern können.« Die Lieferschwierigkeiten werden seiner Ansicht nach wohl noch lange anhalten. »Wir müssen jetzt für 2025 bestellen – Blindflug!«, so Dohrmann. Auch bei der Preisentwicklung ist er skeptisch: »Ich habe Bedenken, dass der Industrie bei den derzeitigen Entwicklungen die Preise entgleiten«, sagt er. »Gehen die Endverbraucher das mit?«

7. April 2022 von Georg Bleicher

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